"achtmal alte brüderkirche" – eine Kirche als Labor

Kassel, 28. Mai 2008. „achtmal alte brüderkirche“ bleibt auch im fünften Jahr seines Bestehens ein Wagnis besonderer Art. Gemeinsam gestalten Musiker aus dem Bereich der Neuen Musik, Künstler, die sich der Gegenwartskunst verpflichtet fühlen, und Theologen jährlich acht experimentelle Abende in der ältesten Kirche im Herzen Kassels. Sie nutzen die einzigartige Chance ein leeres gotisches Kirchenschiff mit anspruchsvollen „Inszenierungen“ zu bespielen, bei denen die Besucher selbst zu Teilnehmern an einem Experiment werden.

So gab es beispielsweise im documenta-Jahr 2007 unter dem Motto „Raumerkundungen“ Abende, an denen der freie Blick durch das Kirchenschiff durch riesige Stoffsegel unterbrochen war, so dass beinah eine Art Labyrinth entstand. Die Musiker spielten von verborgenen Orten aus und waren unsichtbar. Als später im Sommer das Leipziger Ensemble „ATONOR“ zu Gast war, bot die Kirche einen völlig anderen Eindruck: fast vollständig war sie mit Rollrasen ausgelegt und brachte damit alltägliche Gewißheiten ins Wanken.

Anstöße geben
Bedeutende Musiker wie Dieter Schnebel, Markus Stockhausen, Tara Boumann und Claudio Bohorquez sind zu Gast, Kompositionsaufträge werden vergeben und etliche Uraufführungen gespielt. Ausgezeichnet mit dem  Kasseler Kulturpreis 2007 sowie mehreren Förderpreisen der Dr. Wolfgang Zippel-Stiftung hält das bundesweit einmalige Projekt konsequent an seinen beiden Grundsätze fest: Freier Eintritt an allen acht Abenden in der ehemaligen Bettelordenskirche und kompromisslose Gestaltungen ohne Zugeständnisse an den herrschenden Geschmack; denn das Ziel dieser einmaligen ästhetisch-liturgischen Versuchsanordnungen ist es, Menschen in der Tiefe ihres Herzens anzusprechen und Anstöße zu geben, die über den Moment hinaus fruchtbar werden.

Thema in diesem Jahr: Die Zeit
Gegenstand der diesjährigen ästhetisch-liturgischen Versuchsanordnungen bildet das Phänomen Zeit. In vielfältiger Weise wird dies thematisiert:
mit meditativen Improvisationen (18. Mai); mit rhythmisch gegliederten Projektionen, die den Kirchenraum in Teilen verdoppeln (1. Juni); mit Rostspuren (15. Juni) und Lichtzeichnungen (29. Juni), die von Vergänglichkeit und Neuschöpfung erzählen; mit Tanzbewegungen zur Musik von George Crumb (27. Juli) und einer atemberaubend stillen Klanginstallation zu Beethovens großer Quartett-Fuge op. 133 (10. August); mit einem tranceartigen Parcour durch einen Wald aus Kirchenglocken (24. August) und eine Komposition, in denen die Zeit scheinbar ganz zum Stillstand kommt (13. Juli).
All dies wird in Beziehung zur christlichen Überlieferung gesetzt, der sich auch die Errichtung der Brüderkirche verdankt, und lässt damit jeden dieser acht Abende auch zu einer besonderen spirituellen Herausforderung werden.

Programmübersicht 2008:

Sonntag, 18. Mai, 18 Uhr    Im Fluß der Zeit
Musik Trio Doha mit Gareth Lubbe/ Viola, Claudio Bohorquez/ Violoncello, Hayden Chisholm/ Altsaxophon
Improvisationen mit Obertongesang
Kunst Matthias Zielfeld „Gletscher“
Sprache Dr. Markus Himmelmann

Sonntag, 1. Juni, 18 Uhr    Zeit Verschiebung
Musik Eva Zöllner/ Akkordeon
Werke von Georgina Derbez, Klaus Huber, Juan José Bárcenas, Steve Reich und Gordon Kampe
Kunst Sabine Stange „Raum Zeit“
Sprache Gabriele Heppe-Knoche

Sonntag, 15. Juni, 18 Uhr    Spuren
Musik Enikö Ginzery/ Cimbalom, Stefan Hülsermann/ Klarinette
Werke Leoš Janác(ek, György Kurtág/ János Pilinsky, Hans Joachim Hespos, Theo Brandmüller, João Pedro Oliveira
Kunst Ruth Lahrmann „Verwandlungen“
Sprache Hermann Köhler

Sonntag, 29. Juni, 18 Uhr    Alle Zeit
Musik Trio Omphalos mit Ji-Youn Song/ Klavier, Olaf Pyras/ Schlagzeug, Stefan Hülsermann/ Klarinette
Werk von Kunsu Shim
Kunst Nils Klinger „Die Schlafenden“
Sprache Inge Böhle

Sonntag, 13. Juli, 18 Uhr    Die verlorene Zeit
Musik Petra Schmidt, Sopran, Instrumental-Ensemble, Ltg. Andreas Cessak
Werk von Reinhard Karger „La vie c’est Ailleurs – Hommage à Marcel Proust“
Sprache Verena Joos

Sonntag, 27. Juli, 18 Uhr    Zeit Weise
Musik Hanna Heinmaa und Ji-Youn Song/ Klavier
Werke von George Crumb und Wolfgang Rihm
Tanz Deborah Smith-Wicke
Sprache Kathrin Jahns

Sonntag, 10. August, 14 bis 22 Uhr (!)    Pause
Installation von Christoph Seibert QUARTETT
Musik von Ludwig van Beethoven
Sprache Dr. Markus Himmelmann und Lilian von Philippovich

Sonntag, 24. August, 18 Uhr    Zeit Klang
Musik Olaf Pyras/ Schlagzeug
Werk von Tom Johnson „Nine Bells“
Installation Sandfeld
Sprache Christian Trappe