Spendenaktion Kasseler Christen für Tora-Rolle

Kassel, 20. Mai 2008. Als überkonfessionelles Zeichen für Versöhnung aller Kasseler Bürger versteht die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Kassel einen Spendenaufruf für die Restaurierung der alten Torarolle der Jüdischen Gemeinde Kassel. Bis zum 70. Jahrestag der Reichspogromnacht am 7. November wollen die Kirchen 20.000 Euro dafür sammeln.

Tora-Rolle für den Gottesdienst unbrauchbar
Die nachweislich Ende des 19. oder Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutschland gefertigte Tora, so Rabbiner Shlomo Freyshist, wurde vermutlich 1938 bei der Plünderung der Kasseler Synagoge durch die Nationalsozialisten geraubt und anschließend versteckt. Sie hat schweren Schaden erlitten - vor allem einen Wasserschaden, aber auch die Stäbe sind zerbrochen und die Teller fehlten. Sie ist derzeit für den Gottesdienst unbrauchbar.

Die Tora-Rolle, erklärte Esther Hass, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Kassel, in der neuen Synagoge an der Bremerstraße, sei von Unbekannten Mitte der 1990er Jahre, in einen blauen Plastiksack gewickelt, vor der alten Synagoge abgelegt worden. Nach anderthalb jährigen Ermittlungen der Polizei „gehen wir fest davon aus, dass es eine Tora aus der hiesigen Gemeinde ist". „Vermutlich", so Hass, „hat jemand die Rolle an sich genommen, sie über Jahrzehnte im Keller oder auf dem Dachboden verwahrt und dort vergessen". Möglicherweise hätten die Angehörigen des Finders die Tora nach dessen Tod gefunden und anonym zurückgegeben, vermutet die Gemeindevorsitzende. Die Tora habe eine wunderschöne Schrift und werde nach der Instandsetzung deswegen auch sicher am meisten in den Gottesdiensten genutzt. 

ACK bittet Kasseler Bürger um Unterstützung
Die ACK in Kassel setzt sich nun für die Restaurierung der Tora-Rolle ein, und bittet die Kasseler Bürgerinnen und Bürger um Unterstützung. „Mit dieser Aktion bringen wir unsere Verbundenheit mit der Jüdischen Gemeinde in Kassel zum Ausdruck. Wir sind dankbar, dass nach dem Krieg eine lebendige, wachsende jüdische Gemeinde in Kassel zum gemeinsamen Leben wieder mit dazu gehört", betonte Barbara Heinrich, Vorsitzende der ACK und Dekanin des Evangelischen Stadtkirchenkreises Kassel. Als „Zeichen für Versöhnung und als Ausdruck der Freude, dass es nach der Vertreibung der Juden durch die Nationalsozialisten heute wieder jüdisches Leben in Kassel gibt", sieht auch Pfarrer Harald Fischer, Dechant der Katholischen Kirche in Kassel, die Spendenaktion. „Wir werden das Anliegen auch in unsere Gemeinde hineintragen und um entsprechende Spenden für die Wiederherstellung der Torarolle bitten", unterstrich Pfarrer Jürgen Schmidt, Superintendent des Kirchenbezirks Hessen-Nord der Selbstständigen Evangelischen Lutherischen Kirche (SELK) das Anliegen der Kasseler Christen.

Auch die kleinste Spende hilft!
Die Torarolle ist 30 Meter lang und sie enthält 355 Textspalten. Um eine Textspalte zu restaurieren, werden etwa 60 Euro benötigt.

Spendenkonto:
Evangelischer Stadtkirchenkreis Kassel, Konto Nr.: 2200201 bei der EKK Kassel, BLZ.: 520 604 10 - Stichwort: Torarolle.


Hintergrund

Die Tora
Die Tora (wörtlich: „Lehre") ist die Heilige Schrift des Judentums. Christinnen und Christen kennen sie als die Fünf Bücher Mose (Genesis, Exodus, Levitikus, Numeri und Deuteronomium), die auch den Schwerpunkt des ersten Teils der christlichen Bibel („Altes Testament") bilden.
"Mose empfing die Tora vom Sinai her und überlieferte sie dem Josua, dieser den Ältesten, diese den Propheten, diese den Männern der Großen Versammlung (Sprüche der Väter 1,1)" - Dieser Glaubenssatz kennzeichnet die alles überragende Stellung der Tora für die jüdischen Menschen. Sie ist Ausdruck des guten Willens Gottes für Israel, das Volk seines Bundes. Sie ist weniger „Gesetz" (wie es oftmals auf christlicher Seite einengend verstanden wurde), als vielmehr „Weisung", Wegweisung zu einem gelingenden Leben.

Die Torarolle
Entsprechend ihrer Bedeutung für die jüdische Religion hat die Tora einen zentralen Platz in der Synagoge und im Gottesdienst. Sie wird von eigens dazu ausgebildeten Toraschreibern mit der Hand auf Pergamentblätter geschrieben, die dann aneinandergenäht und um Stäbe gewickelt eine Buchrolle bilden.
Eine Vielzahl religiöser Symbole unterstreicht ihre Bedeutung: Der Toraschrein, in dem die Rolle aufbewahrt wird, ist zentraler Blickpunkt im Synagogenraum. Die Torarolle selbst trägt eine reich verzierte Bekleidung und wird feierlich zur gottesdienstlichen Lesung vom Schrein zum Vorlesepult übertragen. Da es das Wort Gottes enthält, ist ihr Schriftbild heilig. So ist der Verlust oder gar die Schändung einer Torarolle für jüdische Menschen eine Katastrophe